Phantasie und Wirklichkeit

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Bildungsminister präsentiert Studie zu Wissenschaftsskepsis

2023 Österreich, in einer finsteren und engen Gasse des 1. Wiener Gemeindebezirks werden die Evolutionstheorie von Charles Darwin und die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Damit die Flammen besser lodern kommt noch die letzte Ausgabe der österreichischen Verfassung oben drauf. Danach macht sich der Lynchmob auf den Weg zum Parlament auf der Ringstraße um den demokratisch gewählten Repräsentanten, die immer nur Bestes für Land und Bevölkerung wollten, den Garaus zu machen. Das Militär bereitet sich – angeführt durch einen senilen Kettenraucher und einen ehemaligen Geckogeneral – auf der Ringstraße darauf vor, dem rechtsradikalen Auswuchs mit aller Härte entgegenzutreten. „Nieder mit der Demokratie, nieder mit der Wissenschaft, Moder soll lodern, MaiThi geht in die Knie !!!“ 

In dieser Art würde wahrscheinlich eine Neuauflage von Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ anmuten, ginge es nach der Propagandafantasie von Bundesminister Martin Polaschek.Wissenschaft und Demokratie seien untrennbar miteinander verbunden, so stottert der zurecht gestutzte Pudel von seinem Rednerpult in Richtung Kamera. Wer der Wissenschaft skeptisch gegenüber steht, sei auch ein Feind der Demokratie. Ein kausaler Zusammenhang, der sich schwer leugnen lässt, vor allem, wenn die vom Ministerium beauftragte Untersuchung durch das Institut für Höhere Studien[1] eine solche bemerkenswerte Verknüpfung zutage gebracht haben will. Ein logischer Ansatz zur Bekämpfung der Demokratiefeindlichkeit in Österreich sei demnach die Stärkung des Glaubens an die Wissenschaft und diese soll schon dort beginnen, wo man die Brutstätte der Skepsis vermutet, nämlich in den Schulen.

Wer kennt nicht die fanatisch-radikalisierten Rauchergruppen, die sich in der Mittagspause nach dem Geographieunterricht bei einer Zigarette im nahegelegenen Park organisieren und dort über die Lügen der sphärischen Erdgeometrie oder dem Versagen des Heliozentrischen Weltbilds philosophieren. Es kann gar keinen Klimawandel geben, weil die Erde schlüssiger Weise eine Scheibe ist. Es wird über die Philosophie von Marx, Lenin und Trotzki diskutiert, ja auch der Ruf nach einem totalitären, starken Führer, der das Land einen und in eine glorreiche Zukunft führen soll, raunt rauchgeschwängert über die Lippen der Pubertierenden. Pin-up Plakate von Sebastian Kurz und Thomas Schmid werden als Devotionalien getauscht, manchmal rutscht auch ein Karl Nehammer oder gar ein Rudi Anschober dazwischen …

Gut, gut, ich höre schon damit auf … aber die ekelerregende Polemik einer Person bei der nicht ganz klar ist, wie sie jemals einen akademischen Grad erreichen konnte oder überhaupt in die Position eines Rektors an eine der größten Universitäten Österreichs gewählt werden konnte, lässt auch mich immer mehr an der „Wissenschaft“ zweifeln. Natürlich ist der PR-Clown Polaschek nur ein „Rechtswissenschaftler“ – man möge einmal darüber reflektieren, dass die Erforschung eines selbsterdachten Systems bereits Wissenschaft sein soll – aber die groteske zur Schaustellung eines offensichtlich unvorbereiteten Bundesministers der wahrscheinlich nur die vermeintlich medienwirksamsten Aspekte aus dem Executive Summary des Ursachenberichts herausgegriffen hat, völlig im Sinn verdreht, sprachlich verschärft und in einem nicht existierenden kausalen Zusammenhang darstellt, lässt vermuten woher die „Demokratieskepsis“ der 10% der österreichischen Bevölkerung stammen könnte. Hier wundert mich, dass es nur 10% sind.

Ich für meinen Teil werde ab jetzt, wenn ich wissenschaftliche Arbeiten zur Korrektur zugesandt bekomme, diese nicht mehr kritisch hinterfragen. Zu groß wäre die Gefahr dabei in die Demokratiefeindlichkeit abzurutschen. Denn die Wissenschaft ist rein und heilig und wissenschaftliche Konzepte zu hinterfragen wäre Häresie und daher wissenschaftsfeindlich.

Interessant ist weiters das unverschämte Framing, das durch unseren Staatspropagandafunk ORF verbreitet wird. In der gesamten Studie wird kein einziges Mal das Wort „Demokratiefeindlichkeit“ verwendet, sondern immer der Terminus „Demokratieskepsis“. Ein grober sprachlicher Unterschied, der sich in die APA Aussendung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung eingeschlichen hat und die Vermutung nahelegt, dass entweder im Bundesministerium einige Analphabeten herumlaufen, die nicht sinnerfassend lesen können oder aber die alternative Wortwahl sowohl von den Leitmedien als auch der Bundesregierung zur Propaganda eingesetzt wird.

Konträr zur Phantasie des Polascheks nun die Realität der Studie:

Laut Studie ist der durchschnittliche Demokratiefeind aka Wissenschaftsskeptiker ein ungebildeter, frustrierter, männlicher, junger Großstädter aus dem rechten Eck, populismushörig, der denkt die Politiker und Parteien wären schuld an den allgemeinen Missständen im Land, und der gerne etwas mehr direkte Demokratie durch das Volk umgesetzt sehen würde. Natürlich will er auch einen starken Führer, der über alle Köpfe hinweg Entscheidungen trifft.

Hier muss ich bemerken – der rechte Trottel aus der Großstadt hat, trotz Bildungslücke, einen guten Zugang zur direkten Demokratie die in Österreich nur als Farce installiert ist um der Bevölkerung einen direkten Einfluss auf Entscheidungen zu suggerieren. Als gutes Beispiel sei hier das Mittel des Volkbegehrens genannt. Seine Beobachtung, dass Politiker und Parteien Schuld an sehr vielen Missständen im Staat sind, ist schlicht und ergreifend korrekt. Weiters ist sein Wunsch nach einem autoritären Führer, der über seinen Kopf hinweg entscheidet, überflüssig, weil die Bundesregierung das jeden Tag macht. Im rechten Eck ist er in der österreichischen Politiklandschaft ebenfalls bestens platziert und die Darstellung dieser Studie durch Polaschek ist ein schönes Beispiel für Populismus. Das aus diesem System Frustration und Unzufriedenheit entsteht hat nichts mit mangelnder Bildung zu tun, sondern zeigt, dass der Knilch fast täglich aufkommende politische Skandale in den Medien nachverfolgt und korrekt bewerten kann bzw. dass der nächste Punkt der Studie ebenfalls zutrifft.

„In den Fokusgruppen unserer Studie wurde Kritik an Wissenschaft (und Demokratie) geäußert, welche sich vorrangig auf Einflussnahme durch Politik oder Wirtschaft, sowie die Verfolgung von Eigeninteressen von PolitikerInnen und WissenschafterInnen bezieht“

Ursachenstudie über Wissenschafts- und Demokratieskepsis


Diese Kritik ist in vollem Umfang angebracht und das muss man denke ich nicht weiter besprechen, wer Zweifel daran hegt, soll sich einmal durch unsere Plattformbeiträge arbeiten (z.B. Wussten Sie eigentlich …, Kommentar zum NEWS Artikel „Das Netz der Pharma-Industrie“)

Quasi ein Knieschuss ist dann …

„Dabei wird jedoch teilweise zu wenig bedacht, dass, wie auch die ExpertInneninterviews gezeigt haben, organisierte Skepsis und offener kritischer Diskurs Wesensmerkmale von Wissenschaft und auch Demokratie sind“

Ursachenstudie über Wissenschafts- und Demokratieskepsis


Eine beeindruckende Erkenntnis und man wundert sich warum Polaschek nicht diese Aspekte hervorgehoben hat, obwohl sie so wichtig wären, um einen der Hauptgründe für Wissenschaftskepsis erkennen zu können.

Weiter heisst es …

„Nicht jede Kritik an Wissenschaft kann mit Skepsis gleichgesetzt werden, wie unsere qualitativen Daten verdeutlichen. Teilnehmende gaben in den Fokusgruppen teilweise die gleiche Antwort auf ihnen vorgelegte Survey-Fragen, legitimierten dies jedoch aus unterschiedlichen Gründen. So bekräftigten beispielsweise mehrere Personen in den Fokusgruppen, dass das Vertrauen in den „gesunden Menschenverstand“ keine Ablehnung von Wissenschaft bedeuten muss“

Ursachenstudie über Wissenschafts- und Demokratieskepsis


Der gute, alte, gesunde Menschverstand sagt einem zum Beispiel, dass wenn alle um einen herum geimpft sind und der Impfstoff angeblich sterile Immunität verspricht, etwas nicht stimmen kann, wenn dann trotzdem alle weiterhin krank werden. Hier hat der gesunde Menschenverstand schnell eine Lüge der Politik und der Experten aufgedeckt. Nur um ein Beispiel zu nennen, warum der gesunde Menschenverstand nicht immer der Wissenschaft unterlegen ist. Nebenbei – um Wissenschaft zu betreiben benötigt man eine ordentliche Ladung von eben dieser Verstandesform und bei vielen Kollegen vermisse ich diese, weil sie einem zwischen Wunschdenken und Realität zu unterscheiden hilft. Historisch gesehen ist der Mensch natürlich ein gebranntes Tier, das immer wieder von „Wissenschaft“, Wirtschaft und Politik belogen wurde, um wirtschaftliche Interessen umzusetzen, daher ist ein gewisses Maß an Misstrauen verständlich.

„Zudem ist eine wissenschaftsskeptische Einstellung nicht eindeutig mit Interesse oder Desinteresse an Wissenschaft verbunden, wie Umfragedaten des Wellcome Global Monitor zeigen. In der Sekundäranalyse des Spezial-Eurobarometer 2021 geben „SkeptikerInnen” etwas häufiger an, sich sehr für Wissenschaft zu interessieren und sich, im Vergleich mit allen befragten ÖsterreicherInnen, intensiver mit Wissenschaft zu beschäftigen. Insgesamt ist das Interesse an Wissenschaft in Österreich etwas geringer als im EU-27-Durchschnitt, hat aber gegenüber 2010 leicht zugenommen. Personen, die wissenschaftsskeptischen Aussagen zustimmen, unterscheiden sich zudem, unseren Analysen nach, in ihrem Verhältnis zu Wissenschaft in vielen Aspekten nicht wesentlich von der Allgemeinbevölkerung.“

Ursachenstudie über Wissenschafts- und Demokratieskepsis


Also hinkt die Idee des rechten Stadttrottel etwas, auch der Durchschnittsbürger outet sich als Wissenschaftsskeptiker. Eine alternative Erklärung wäre aber, anhand der rechtslastigen Politikausrichtung zu vermuten, dass alle Österreicher rechte Verschwörungstheoretiker sind.

Um auf des Pudels Kern zu kommen behauptet die Studie, diametral zur Aussage von Polaschek:

„In ähnlicher Weise hängen höhere normative Erwartungen an die Demokratie, ein als besser wahrgenommenes Funktionieren der Demokratie in Österreich sowie die Wahrnehmung, auf die Politik in Österreich Einfluss nehmen zu können, sowohl mit Wissenschaftsvertrauen als auch Demokratiezufriedenheit positiv zusammen. Auch die durchgeführten Fokusgruppen zeigen, dass Wissenschaft in Zusammenhang mit der Demokratie gesehen wird und sich Kritik an dieser vorrangig auf die praktische Umsetzung im Kontext politischer und wirtschaftlicher Interessen bezieht“

Ursachenstudie über Wissenschafts- und Demokratieskepsis


Das bedeutet, die Studie zeigt eigentlich, dass sich politische und demokratische Unzufriedenheit negativ auf das Vertrauen in die Wissenschaft auswirkt und nicht umgekehrt. Daher sind die Bemühungen von Polaschek und der Bundesregierung, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken vergebens, solang der Sauhaufen – der sich Bundesregierung nennt – sich nicht des Vertrauens der Bevölkerung würdig erweist.

Basierend auf einer historischen Analyse zur Wissenschaft- und Demokratieskepsis in Österreich wird weiterhin empfohlen proaktiv zu werden:

„Für die Handlungsfelder gegen Wissenschaft- und Demokratieskepsis bedeuten die Ergebnisse der historischen Analyse, an jene Handlungsmuster anzuknüpfen, die in Epochen von Demokratisierung und Förderung von Wissenschaft gebildet wurden (z.B. Volkshochschulen als Orte der Wissenschaftskommunikation, Mäzenatentum). Zugleich sind Handlungsmuster zu vermeiden, die in Richtung Autokratie und Diktatur führen können (z.B. mangelnde Diskussionsbereitschaft und -fähigkeit, Abwertung der jeweils Andersdenkenden).“

Ursachenstudie über Wissenschafts- und Demokratieskepsis


Man muss also bemerken, dass der Unterschied zwischen der Aussage der Studie und der Darstellung durch Polaschek nicht nur nicht größer sein könnte, sondern offensichtlich wurde großes Augenmerk darauf gelegt die Aussage der Studie zu Propagandazwecken umzudrehen.

Final muss man – und so ist es normal üblich bei Studien – die Studie bewerten. And the weakness of the study is: Offensichtlich wurden fast alle Informationen aus Survey Daten der EU entnommen, die allesamt aus der Pandemiezeit stammen, vergleichende Umfrageanalysen werden dadurch wahrscheinlich verzerrt und damit der eigentliche Grund für die Wissenschafts- und Demokratieskepsis verschleiert. Wenn Sie dennoch den Grund wissen wollen, lassen Sie die letzten vier Jahre nochmals im Geiste Revue passieren (wenn Sie das aushalten).

Was? Sie meinen ich kann die Studie nicht interpretieren, weil ich kein Experte bin? Aber ich bin auf dieser Plattform Wissenschaftskommunikator, daher weiss ich alles, kann alles und darf daher auch alles behaupten!

Referenzen:

  1. Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Zusammenarbeit mit der Universität Aarhus im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF)[]

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